Tänzer sind wir wirklich alle ...

Tanzen hat in der ganzen Menschheitsgeschichte etwas zum Zusammenhalt der Gemeinschaften beigetragen. 
Ob Walzer, Cha-Cha-Cha oder Tango - Tanzsport ist Training für den gesamten Körper. Und: Tanzen baut Stress ab und macht glücklich. Was passiert im Körper und warum macht Tanzen glücklich? Prof. Gunter Kreutz, Musikwissenschaftler Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, im Interview.

Warum ist Tanzen Training für Körper und Kopf?

Prof. Gunter Kreutz: Die große Bandbreite von sehr einfachen bis fast akrobatischen Tänzen zeigt doch, dass wir uns darin beliebig fordern können. Das macht es für viele Menschen so reizvoll, sich geistig und körperlich dabei nicht nur anzustrengen, sondern auch weiterzuentwickeln. Und das ist keine Frage des Alters.

Was sich genau im Gehirn abspielt, ist noch nicht vollständig erforscht. Was wird uns beim Tanzen an geistiger Leistung abverlangt und welche Bereiche unseres Gehirns werden aktiv?

Kreutz: Die Tanznetzwerke sind, das sagen Sie zu Recht, nicht vollständig erforscht. Doch allein in einem Gemenge von Tänzern oder Tanzpaaren die räumliche und musikalische Orientierung zu behalten, stellt besondere Anforderungen dar. Die Musik, der Raum, die Bewegung und Koordination mit dem Partner oder der Partnerin bilden eine sehr komplexe Mischung von Informationen, die in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Wichtig ist, dass die einzelnen Komponenten im Alltag ständig beansprucht werden, nur nicht in dieser konzentrierten Weise wie beim Tanzen.

Warum macht Tanzen Ihrer Meinung nach glücklich?

Kreutz: Weil zwei Dinge zusammenkommen: Bewegung und soziales Miteinander. Menschen haben in der Evolution nur als Gruppe überlebt. Tanzen hat in der ganzen Menschheitsgeschichte etwas zum Zusammenhalt der Gemeinschaften beigetragen. Alles, was zum Überleben beiträgt, registriert das Gehirn als Belohnung. Tanzen ist zwar für sich genommen nicht lebensnotwendig, doch indem wir es tun, lösen wir immer noch diese Belohnungsmechanismen aus.

Warum ist Tanzen in jedem Alter gesund und hält auch „betagte" graue Zellen fit?

Kreutz: Tanzen bietet die ideale Balance zwischen der Nutzung von vorhandenen Ressourcen, also der basalen Fitness, die wir zum Tanzen mitbringen, und der Notwendigkeit, Neues zu erlernen. Selbst die Körperhaltung, Atmung, Koordination von Bewegung und die Achtsamkeit für den Körper sind schon ein Teil von Lernprozessen. Das Schöne ist, dass wir die Anstrengung kaum spüren und dennoch sehr viel Energie umgesetzt wird. Davon profitiert auch das Gehirn.

Lohnt es noch, im fortgeschrittenen Alter mit dem Tanzen zu beginnen?

Kreutz: Ja, und genau aus dem Grund, weil wir diese tänzerischen Kompetenzen immer mit uns herumtragen, aber aus unerfindlichen Gründen kaum nutzen. Wenn man darüber nachdenkt, wie man die Freizeit so gestaltet, dass man in Bewegung und sozialem Kontakt bleibt, dann geht am Tanzen kaum ein Weg vorbei. Und gerade das wird mit zunehmendem Alter immer wichtiger. Die Kinder sind irgendwann aus dem Haus, die Familie über die Republik verstreut und es bleiben wenige Dinge, mit denen man sich neu erfinden kann. Dafür ist das Tanzen ein sehr guter Kandidat.

Gibt es das Tanz-Gen und sind Menschen, die es haben glücklicher?

Kreutz: Man könnte meinen, dass das Tanzen manchen Menschen in die Wiege gelegt ist. Es gibt sicherlich größere und kleinere Talente. Aber Tänzer sind wir letztlich alle und teilen auch die Fähigkeit, durch das Tanzen Glück zu empfinden und Spaß zu haben. Entscheidend ist doch, dass wir dieses Glück teilen, es nicht auf Kosten anderer geht und wir denkbar geringe Risiken damit eingehen. Oder um es mit Mae West zu sagen: „Es ist weder unmoralisch, illegal und macht auch nicht dick, trotzdem macht es Spaß."

(Sendung „Visite“ im NDR am 19. Nov. 2013)